Eine (un)heilige Allianz?
Den Star-Virologen Christian Drosten und den Unternehmer Olfert Landt verbindet eine langjährige, äußerst erfolgreiche Zusammenarbeit. Ist wissenschaftliches Arbeiten in einer solch engen Beziehung noch frei von Interessenkonflikten?
Das Fundament der Wissenschaft ist ihre vorbehaltlose Neutralität, ihr apodiktischer Eid unbefangen zu sein. Ohne diese Integrität, ohne die unbedingte Versicherung ihrer Unvoreingenommenheit verkommt sie zur Farce.
Die Corona-Pandemie hat ein Potpourri schillernder Figuren ins gleißende Rampenlicht apokalypsehungriger Schreiberlinge gezerrt, die unter normalen Umständen ein vielleicht einflussreiches, aber schattiges Dasein gefristet hätten. Allen voran natürlich Herrn Drosten und ein in seiner Aura erstrahlender Kreis akademischer Günstlinge wie Isabella Eckerle, Viktor Corman, Sandra Ciesek und viele mehr.
Bei Lichte betrachtet, darbte der gesamte Forschungszweig der Virologie bis Ende der 90er-Jahre in einer mausgrauen Nische. Auftrieb bekam die Virologie erst durch technologischen Fortschritt, durch die existenzsichernde Suche amerikanischer Sicherheitsdienste nach Ersatzbedrohungen für den Wegfall des Eisernen Vorhangs und vermutlich nicht ganz zufällig, auch durch Hollywood.
In einem lesenswerten Interview aus dem Juni 2020 erklärt bspw. Hendrik Streeck freimütig, dass neben seinem Interesse für die Mikrobenwelt auch der Film Outbreak (1996) seine Faszination für die Virologie geweckt habe. Unsere durch Hollywood geprägte Rezeption der Welt ist es sicher auch, die uns empfänglich macht für die Geschichten schrulliger Gestalten, die im Alleingang die Welt retten. Verfänglicher Unsinn, aber eine Schablone, in die ein weiterer Protagonist perfekt zu passen scheint: Olfert Landt.
Bis vor Kurzem alleiniger Gesellschafter-Geschäftsführer der Berliner TIB Molbiol Syntheselabor GmbH. Ein wenig erinnert er an den verrückten Erfinder Emmett Brown, der aus einem DeLorean eine Zeitmaschine baut. Die Medien lieben so etwas. Hollywood eben.
So waren die rührseligen Geschichten auch schnell geschrieben. Der hemdsärmelige, aber findige Unternehmer, der nächtens mit müden Augen Tütchen zuklebt. Bereits am 10. Januar verschickt er die ersten Tests nach Hongkong. Relotiusierende Journalisten staunten ehrfürchtig.
Dabei werfen die Berichte eigentlich mehr Fragen auf, als sie beantworten. Ein Beispiel: Erst am 10.01. taucht weltweit die erste #SARSCoV2-Gensequenz bei virological.org auf. Doch woher hatte Landt das Wissen, die Reagenzien taggleich zu versenden, die ja darüber hinaus erst im Vorlauf hätten entwickelt und gefertigt werden müssen?
Doch kritische Fragen sind nach dem Diktum des neuen Zeitgeistes unsolidarisch und so hat der Journalismus, bis auf wenige Ausnahmen, dem Prinzip abgeschworen, eklatante Widersprüche zu hinterfragen. Er erzählt lieber Heldengeschichten vom genialen Drosten oder tüchtigen Landt.
Am 01. Dezember 2021, kurz vor Weihnachten, zahlen sich die Mühen und schlaflosen Nächte Herrn Landts jedenfalls aus und der Pharmakonzern Roche übernimmt 100 % von TIB Molbiol. Landt tritt aus der Geschäftsleitung aus. Über den Kaufpreis wird Stillschweigen vereinbart.
Wieso nur kauft Roche das kleine Syntheselabor? Vermutlich ist es die Spitzenposition, die das Unternehmen bei Entwicklung und Herstellung sogenannter Oligonukleotide einnimmt, kurze synthetisch hergestellte RNA- oder DNA-Ketten, die ein wichtiger Baustein für PCR-Tests sind. Da muss man wohl zugreifen.
Bloß wie wurde TIB Molbiol zum Hidden Champion? Das Unternehmen hält bestenfalls ein Patent. Insgesamt vier wurden von Landt angemeldet, drei davon sind verfallen. Das Vierte läuft eigentlich nur auf seinen Namen. Geistige Eigentumsrechte sind es also nicht, die ihnen solche Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Auch die Unternehmensgröße ist nicht herausragend. Aus den letzten Geschäftsberichten lassen sich ca. 40 Mitarbeiter schätzen. Ein kleiner Mittelständler. Es gibt ein paar ausländische Vertriebstöchter, viel läuft aber seit den Gründungstagen über Roche. Tütchen klebt der Chef notfalls selbst zu. Wäre es nur um Verfahrenswissen gegangen, hätte Roche auch einfach die Spitzenkräfte abwerben können. Sicher, nicht die feine Englische Art, aber seit wann arbeitet die Branche mit Samthandschuhen? Einen Rechtsstreit hätte die vergleichsweise kleine Firma wohl kaum gewagt.
Darüber hinaus dürfte der Kauf nicht billig gewesen sein. Zum Abschluss des Geschäftsjahres 2019–2020 (dieses endet bei TIB Molbiol jeweils am 31. März) wies das Unternehmen Eigenkapital in Höhe von 48,9 Mio. € aus, bei einer Eigenkapitalquote von über 82 %! Beeindruckend. Ich kenne viele erfolgreiche Unternehmen. Das ist jedoch außergewöhnlich.
Herausragend auch: Der Gewinn des Unternehmens hat sich im Vergleich zum Vorjahr 2019 auf 14,2 Mio. € verdoppelt. Obwohl pandemiebedingte Umsatzzuwächse nur in den letzten 3 Monaten des Geschäftsjahres zu Buche schlugen. Kein Vorwurf an Herrn Landt, er ist Unternehmer. Es sei ihm gegönnt. Überhaupt ist sein unternehmerischer Erfolg beachtlich. Eine kurze Handelsregister-Recherche offenbart, dass es ihm in 30 Jahren gelungen ist, eine Handvoll Unternehmen zu gründen, die in Summe Eigenkapitalwerte von mindestens 170 Mio. € auf den Tisch bringen.
Jüngst mehrheitlich Gesellschaften zur Vermögensverwaltung. Darüber hinaus ist er zusammen mit dem Berliner Immobilienmagnaten Fluck an weiteren Firmen beteiligt, die sich primär Immobiliengeschäften widmen. Das alles ist vollkommen unproblematisch. Glückwunsch!
Mithin, die Geschichten vom altruistischen Bastler bekommen plötzlich einen welken Rand und beginnen zu vergilben. Aber geschenkt.
Problematisch wird es erst, wenn man zur Frage zurückkehrt, was TIB Molbiol so erfolgreich macht. Was ist der entscheidende Faktor für ihre außergewöhnliche Marktposition? Warum sind sie immer schneller als Wettbewerber, wie Frau Landt in einem aufschlussreichen Interview betont?
TIB Molbiols Geschäft ist fraglos immer dann besonders einträglich, wenn ein neuer, potenziell gefährlicher Erreger in den Fokus der virologischen Fahnder gerät. Gesucht wird nach diesem, das haben wir inzwischen gelernt, mit speziell auf den Erreger abgestimmten PCR-Tests. Zwar kann jedes Syntheselabor der Welt die passenden Primer (Oligonukleotide) fertigen, aber der Erste zu sein, der zudem auf die weitverbreiteten Geräte — Thermocycler — von Roche angepasste Reagenzien anbietet, dürfte sprichwörtliches Gold wert sein.
Landt muss bestens in der Welt der Virologie vernetzt sein, um den entscheidenden Tick schneller sein zu können, als die Konkurrenz. Zu den wichtigsten Antagonisten der SoKo Virologie gehörten in den vergangenen Jahren H1N1 (Schweinegrippe), H7N9 (Vogelgrippe), Gelbfieber und einige mehr, und in allen Fällen war — seit seinem Coup der Entdeckung des SARS-Virus eine Instanz — Herr Drosten an vorderster Front dabei. Wenngleich seltener bei der Entdeckung, sondern vielmehr bei der Entwicklung geeigneter PCR-Protokolle; seinem Steckenpferd.
Praktisch, dass Herr Landt mit seinem “kleinen” Syntheselabor in den meisten Fällen scheinbar nicht nur primärer Ansprechpartner der Institute für die Fertigung erster Test-Kits war, sondern vielfach gleich als Co-Autor passender Publikationen wirken durfte.
Hier nun entfalten sich schlagartig unangenehme Fragen:
Wie ist es möglich, dass in den allermeisten dieser Publikationen, in denen mehrfach Herr Drosten als Korrespondenzautor auftaucht, keine Interessenkonflikte deklariert werden?
Wie kann es sein, dass Herr Drosten als verbeamteter Professor an der Charité mit Steuermitteln finanzierte Forschung betreibt, die dann zufälligerweise immer wieder dem gleichen Unternehmen zu extremen Marktvorteilen verhilft?
Wie kann die Mitwirkung eines Unternehmers an der Publikation von PCR-Protokollen, die dann häufig von WHO, CDC u.a. als Referenz-Protokoll verbreitet werden, kein Interessenkonflikt sein, wenn ebenjener Unternehmer gleich noch das passende Produkt verkauft?
Wieso bleibt es für Herrn Drosten folgenlos, dass er damit auch auf eklatante Weise gegen die Interessen seines Arbeitgebers verstößt, indem er auf dessen Kosten die Protokolle entwickelt, diese dann aber ungeschützt Dritten zur Vermarktung überlässt?
Dass dies kein abwegiger Gedanke ist, zeigt das Vorgehen bei SARS: Damals ließ das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin das dort von Drosten entwickelte Testverfahren durch eine bereits in den 90ern entstandene Bio-Tech-Ausgründung (Artus heute Qiagen) schützen, bevor es Anwendung fand.
Und ist es nicht auch zumindest bemerkenswert, dass fast alle seiner Publikationen bei Eurosurveillance begutachtet und veröffentlicht werden, einem Fachmagazin, das von der ECDC herausgegeben wird und in dem er seit 2007 als assoziierter Redakteur wirkt?
Ob Herrn Drostens laxer Umgang mit dieser, für TIB Molbiol äußerst lukrativen, Liaison von purer Arglosigkeit geleitet oder alles nur großer Zufall ist, lässt sich nicht beantworten. Es ist letztlich für die Frage nach der wissenschaftlichen Integrität auch egal. Denn frei von Zweifeln ist die Wissenschaft nur dann, wenn sie jeglichem Verdacht auf Interessenkonflikte dadurch entgegentritt, dass sie solche Verbindungen gar nicht erst zulässt.
Bedenkt man, welches Gewicht Drostens Stimme in den letzten beiden Jahren zugemessen, wie viel Vertrauen ihm von der Öffentlichkeit geschenkt wurde, wäre eine vollständige Aufklärung dieser Fragen das Mindeste. Jedenfalls dann, wenn sein Handeln von intakten ethischen und moralischen Prinzipien geleitet wird.
Als vertiefende Lektüre zum Thema sei das gründlich recherchierte Buch Artur Aschmoneits empfohlen, das der Kubo Verlag zum kostenlosen Download bereithält.